Sonntag, 4. Dezember 2005

Maryam Rajavi, die Frau an der Spitze

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Ein kurzer Blick auf das Leben von Maryam Rajavi

Maryam Rajavi wurde 1953 in eine Mittelklassefamilie in Teheran geboren. Sie hat einen Grad in Metallurgie von der Sharif Universität in Teheran.

Frau Rajavi begann ihre Aktivitäten während der Anti-Schah-Bewegung in den frühen 70er Jahren als einer der Führer der Studentenbewegung. Das Schahregime richtete eine ihrer Schwestern, Narges, hin, und das Khomeini-Regime ermordete eine weitere, Massoumeh, die 1982 im achten Monat ihrer Schwangerschaft unter der Folter starb. Massoumehs Mann, Massoud Izadkhan, wurde ebenfalls hingerichtet.

Nach der Revolution von 1979 wurde Maryam Rajavi eine führende Persönlichkeit in der sozialen Sektion der Organisation der Volksmojahedin Irans (PMOI) und spielte eine wichtige Rolle bei der Rekrutierung von Studenten und Oberschülern für die Bewegung. Zu dieser Zeit entwickelte sich die PMOI sehr schnell zur stärksten Oppositionsbewegung gegen das klerikale Regime. 1980 zählte Frau Rajavi in Teheran zu den Kandidaten für die Parlamentswahlen und erhielt, obwohl die Regierung die Wahlen in großem Maße fälschte, über eine Viertelmillion Stimmen.

Frau Rajavi war an der Organisierung friedlicher Demonstrationen in Teheran im April und Juni 1981 als Protest gegen die zunehmend repressive Politik der Regierung beteiligt. Als am 20. Juni 1981 in Teheran eine halbe Million Anhänger der Mojahedin friedlich demonstrierte, um die Respektierung der Freiheit zu verlangen, gab Khomeini seiner Terrorherrschaft freien Lauf. Hunderte wurden an diesem Tag getötet oder verletzt und Tausende festgenommen.

1982 verlies Maryam Rajavi den Iran in Richtung Frankreich. In Paris wurde sie sehr bald zur fähigsten und qualifiziertesten Frau in der Bewegung und wurde schließlich 1985 zur gleichberechtigten Führerin der PMOI gewählt. Vier Jahre später, 1989, wurde Frau Rajavi auf einer Plenarsitzung des PMOI-Kongresses zur Generalsekretärin der Organisation gewählt.

Die gewählte Präsidentin

Im August 1993 wählte der Nationale Widerstandsrat Irans (NWRI), das Parlament des iranischen Widerstands, Maryam Rajavi zur zukünftigen Präsidentin Irans für die Übergangszeit nach dem Sturz der Mullahs.

Frau Rajavi trat daraufhin von ihren anderen Ämtern zurück, um sich ganz auf ihre neuen Aufgaben als gewählte Präsidentin zu konzentrieren.

In dieser Eigenschaft führte Maryam Rajavi die Kampagne des Widerstands auf internationaler Ebene und entlarvte die Menschenrechtsverletzungen im Iran, Teherans Export des Terrorismus und Fundamentalismus und sein Bemühen um Nuklearwaffen. Sie arbeitete auch dafür, die internationale Gemeinschaft über die Ziele des iranischen Widerstands in einer ganzen Reihe von Fragen zu informieren.

Als eine muslimische Frau stellte Maryam Rajavi in ihrer neuen Rolle als gewählte Präsidentin eine bedeutende politische, soziale, kulturelle und ideologische Herausforderung für die frauenfeindlichen Mullahs, die sich auf Gott beriefen, um ihre Handlungen zu rechtfertigen, dar. In der Person Maryam Rajavis erblickten die fundamentalistischen Mullahs eine Führerin, die all das repräsentierte, was ihnen zuwider war.

Förderung von Frauen

Unter der Leitung Maryam Rajavis erreichten Frauen die höchsten Positionen innerhalb des Widerstands im politischen, diplomatischen und militärischen Bereich. Frauen stellen die Hälfte der Mitglieder des NWRI. Ein Drittel des militärischen Arms des Widerstands, der Nationalen Befreiungsarmee Irans, und zwei Drittel seiner Kommandanten sind Frauen. Der Führungsrat der PMOI besteht ausschließlich aus Frauen.

Die Wahl von Frau Rajavi gab der unterdrückten Gesellschaft des Irans, vor allem den Frauen, neue Hoffnung auf eine bessere Zukunft. Ebenso tief greifend und inspirierend war die Auswirkung ihrer Wahl auf die im Ausland lebenden Iraner. Iraner quer durch das politische Spektrum vereinigten sich, um sie zu unterstützen, und sie wurde zum wahren Symbol der nationalen Einheit gegen die religiöse Tyrannei im Iran. Viele Delegationen aus der vier Millionen starken exil-iranischen Gemeinde, darunter iranische Fachkräfte, Akademiker und Künstler haben sie besucht.

Maryam Rajavi hat viele Vorträge über eine moderne, demokratische Version des Islam in Opposition zur reaktionären, fundamentalistischen Version dieser Religion gehalten. Für sie ist das hervorstechendste Unterscheidungsmerkmal zwischen diesen beiden diametral entgegengesetzten Ansichten die Frauenfrage.

Sie hat auch Irans reichem, aber gefährdeten künstlerischen und kulturellen Erbe große Aufmerksamkeit gewidmet. Viele berühmte Darsteller, Filmemacher, Künstler, Maler, Bildhauer, Dichter und Schriftsteller haben ihre Unterstützung für ihre Plattform eines freien und säkularen Irans zum Ausdruck gebracht.

Die Zukunft darlegen

In einer Rede vor 15.000 Iranern in Dortmund am 16. Juni 1995 stellte Frau Rajavi eine aus 16 Punkten bestehende „Charta der grundlegenden Freiheiten“ für den Iran nach den Mullahs vor. In dieser Rede sagte Maryam Rajavi, dass die Liebe zur Freiheit die Triebkraft der Widerstandsbewegung sei. Ohne diese, so sagte sie „hätten wir uns nicht gegen die herrschende Diktatur halten können. Unsere Nation hat den Preis der Freiheit mit 100.000 Opfern bezahlt.“ Frau Rajavi präsentierte auch eine Plattform des Widerstands für die Zukunft Irans und betonte ihre Verpflichtung auf die Redefreiheit, die Meinungsfreiheit, die der Presse, der Parteien und politischen Vereinigungen sowie auf freie Wahlen. Sie betonte, dass Wahlen die einzige Grundlage sein würden, um die Legitimität der Regierung zu begründen.

Maryam Rajavi wies auch die Manipulation des Islam durch die Mullahs zurück. „Lassen Sie uns daran keinen Zweifel aufkommen lassen“, sagte sie, „dass die Bauchladenhändler der Religion, die im Iran im Namen des Islam herrschen, aber Blut vergießen, die Menschen unterdrücken und den Export von Fundamentalismus und Terrorismus propagieren, selbst die ärgsten Feinde des Islam und der Muslime sind.
Der Tag wird kommen, an dem sie gezwungen sein werden, auf den Namen des Islam zu verzichten.

Im vergangenen Jahrzehnt ist Frau Rajavi von Abgeordneten in verschiedenen europäischen Ländern eingeladen worden. Sie hat Großbritannien, Norwegen und das Europäische Parlament besucht, wo sie zu Gruppen von Abgeordneten gesprochen und viele politische Persönlichkeiten getroffen hat, um über ihre Anschauungen betreffs des Islam und der Zukunft Irans zu sprechen.

Maryam Rajavi hat eine 22 Jahre alte Tochter mit Namen Ashraf.

Montag, 28. November 2005

Allesia ist müde

. . ich bin hundemüde und werde mich bald schlafen legen. Habe 8 Stunden intensiv gearbeitet.
Gute Nacht alle zusammen

Samstag, 26. November 2005

Chinas Spionage und Manipulation in Übersee

Enthüllungen von zwei Überläufern ziehen unerbittlich Kreise


Chen Yonglin erklärte seinen Austritt aus dem diplomatischen Dienst Chinas und bat in Australien um Asyl (Foto: Jan Jekielek)


Chen Yonglin erklärte seinen Austritt aus dem diplomatischen Dienst Chinas und bat in Australien um Asyl (Foto: Jan Jekielek)

Anfang Juni haben sich kurz hintereinander Chen Yonglin, ein hoher chinesischer Konsulatsbeamter, und Hao Fengjun, ein Angehöriger des chinesischen Sonderbüros 610 der Geheimpolizei in Australien abgesetzt, um politisches Asyl gebeten und in der Öffentlichkeit ausführlich über Interna des chinesischen Spionagenetzes in Australien und Kanada berichtet. Was zunächst nur von wenigen Medien berichtet wurde, hat inzwischen die Parlamente und Regierungen beider Länder in Bewegung gesetzt.

In einem Interview im australischen Fernsehsender ABC am 9. Juni nannte Senator Bob Brown, Führer der australischen Grünen, China einen Polizeistaat und beschuldigte seine eigene Regierung, entweder geschlafen oder vorgezogen zu haben, den aufsteigenden Wirtschaftsgiganten nicht zu brüskieren und in der Folge nicht seiner Aufgabe nachzukommen, das Volk vor solcherlei chinesischen Aktivitäten schützen zu wollen.

Vorwürfe an die australische Regierung

Im gleichen Sender konnten Außenminister Alexander Downer und Einwanderungsministerin Amanda Vanstone nur schwer ihre Entscheidung rechtfertigen, den beiden Überläufern bisher politisches Asyl verweigert und sie wie jeden anderen Asylsuchenden behandelt zu haben. Inzwischen werden beide Überläufer von dem Anwalt Bernard Collaery vertreten. Sowohl der 37-jährige Chen Yonglin vom chinesischen Konsulat in Sydney als auch der 32-jährige Polizeibeamte Hao Fengjun vom Sonderbüro 610 konnten den Druck ihrer Tätigkeit des Ausspionierens nicht mehr ertragen. Hao hatte sich im Frühjahr gezielt einer Reisegruppe angeschlossen und war in Australien zunächst untergetaucht.

Ein System von Quoten und Prämien


Nachdem Chen Yonglin am 4. Juli, dem Gedenktag des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens, an die Öffentlichkeit gegangen war, fand auch Hao Fengjun den Mut, dasselbe zu tun. Hao hat umfangreiches Material über das ausländische Spionagenetz Chinas nach Australien geschmuggelt und in einem Interview mit der australischen Epoch Times über sein Aufgabengebiet in China berichtet. Er ist dabei auch Zeuge von Folter geworden und nennt Folter ein gängiges Mittel Geständnisse zu erpressen. Hao schilderte gegenüber The Epoch Times im Detail das ausgeklügelte System von Quoten und Prämien, das speziell bei der Verfolgung von Anhängern der Falun Gong-Bewegung gilt, und zwar in China und in Übersee. In Übersee ist der Job des Geheimagenten für das Büro 610 wegen der hohen Prämien und Auszeichnungen besonders beliebt. Hao hatte seine Laufbahn als Polizist begonnen, war zum Büro 610 versetzt worden und hatte versucht, sich so passiv wie möglich zu verhalten, nachdem er sah, wie dort in Arbeitslagern und Gehirnwäschekursen mit unschuldigen Mitmenschen umgegangen wurde. Nach seiner Einschätzung ist die chinesische Bevölkerung aufgrund der manipulierten Berichterstattung in den Medien nicht in der Lage, zu erkennen, was mit Falun Gong gespielt wird.

Ein chinesischer Diplomat distanziert sich vom Staatsapparat der KP


In einem Interview mit The Epoch Times sagte Chen Yonglin, seine Aufgabe in Australien habe in der Überwachung und Verfolgung von Demokratie-Befürwortern, Falun Gong-Anhängern und tibetischen und taiwanesischen Gruppen bestanden und darin, Gegen-Aktivitäten durchzuführen. Dazu zählten auch massive Ausfälle gegen Falun Gong-Sympathisanten vor der chinesischen Botschaft. Es ist ihm abzunehmen, dass er seine Aufgabe nur noch mit wachsendem Widerstand wahrnehmen konnte, denn sein Vater wurde in der Kulturrevolution umgebracht, die Familie brach auseinander, aber getreu der Parteilinie hatte er sich auch noch ernsthaft dafür zu bedanken, für Westler eine schwer zu nachzuvollziehende Haltung.

Weil Chen, noch immer ohne den Schutz des australischen Staates, nicht wagte, sich nochmals öffentlich zu zeigen, wurde am 13. Juni bei einer Kundgebung ein Statement von ihm verlesen. Darin ruft der ehemalige chinesische Diplomat seine Mitbürger auf, sich von der geistigen Knechtschaft und den Ketten der KP zu lösen und sieht seine eigene Entscheidung als Zeichen dafür an, dass die chinesische KP nicht in der Lage ist, auch das Gewissen des chinesischen Volkes zu beherrschen.

Verhöre bei Heimatbesuch in China

Nach diesen Enthüllungen wurden in Kanada auf einer Pressekonferenz und im Fernsehen Aktivitäten des chinesischen Geheimdienstes auf kanadischem Boden an Beispielen belegt, die umgehend von der chinesischen Botschaft in Ottawa geleugnet wurden. Auch Heimatbesuche bringen Gefahr. Zhu Ying aus Montreal, die Falun Gong praktiziert, hatte ihre Mutter in China besuchen wollen, wurde aber nach ihrer Einreise für 34 Tage festgenommen. In Verhören sollte sie Informationen über Freunde preisgeben, deren Telefonnummern sich in ihren Notizen befanden. Als sie sich weigerte, wurde ihr gesagt, man wüsste alles über jeden Falun Gong-Praktizierenden in Montreal.

Bespitzelung in Kanada


Die 39-jährige Ye Jillian aus Toronto erfuhr, dass persönliche Informationen über sie in einem chinesischen Geheimbericht aus dem Jahr 2004 auftauchten. Daraus gingen ihre Pläne für die Gründung einer Kommunikationsfirma hervor, ebenso der Erwerb einer Wohnung für ihre Eltern in New York. Der Bericht war an diverse chinesische Behörden und auch an das chinesische Außenministerium gegangen. The Epoch Times Canada hatte ihn zusammen mit sieben weiteren geschmuggelten Geheim-Berichten von Hao Fengjun aus Australien erhalten. Die kanadischen Konservativen richteten daraufhin heftige Vorwürfe an die regierenden Liberalen, sich nicht entschieden gegen Bespitzelung und Belästigungen von chinesischen Spionen gewandt zu haben. Mehrere Falun Gong-Praktizierende in Kanada hatten in der Vergangenheit wegen massiver Belästigungen vergeblich Hilfe bei Behörden gesucht. Daraufhin versicherte Außenminister Pettigrow, man nehme diese Vorwürfe sehr ernst. Die für Sicherheitsfragen zuständige Ministerin Anne McLellan wollte diese Vorgänge nicht öffentlich diskutieren, aber sie betonte, es werde alles für die Sicherheit kanadischer Bürger getan.

Schwarze Listen und Telefonterror

Als im Februar Lucy Zhou in Ottawa und andere Auslandschinesen mehrere Tage lang unter massivem Telefon-Terror standen bei dem und über Telefon automatisch Bänder in chinesischer Sprache abgespielt wurden, konnten sie bei den Behörden noch kein Gehör finden. Inzwischen wurde bekannt, dass weltweit und auch in Deutschland Hunderte von Personen ähnlichem Telefon-Terror ausgesetzt waren, dies aber von keiner Behörde oder gar Regierung wirklich ernst genommen wurde. Das könnte sich nun ändern.

Aus Deutschland ist schon länger bekannt, dass Deutschen und Angehörigen anderer Staaten, die Falun Gong praktizieren, die Einreise im Juni 2002 nach Island verboten wurde, als dort der chinesische Staatspräsident zu Besuch erwartet wurde. Im Ausland lebende Chinesen müssen bei ihrem Heimatbesuch damit rechnen, von chinesischen Agenten für Spitzeldienste im Ausland geworben zu werden, Am 7. März 2005 wurde das junge chinesisches Ehepaar Jiang mit zwei kleinen Kindern in sein Heimatland China abgeschoben. (Die Neue Epoche berichtete) Sie wurden sofort verhört und vier Wochen später wurde der Ehemann ins Arbeitslager abgeführt. Er praktiziert Falun Gong, was offensichtlich dem chinesische Geheimdienst bekannt war.

Die beiden chinesischen Überläufer in Australien könnten in etlichen Ländern eine Kettenreaktion mit unabsehbaren und für die chinesische Führung äußerst unangenehmen Folgen ausgelöst haben.

Monika Weiß / German ET
Die Neue Epoche
01.07.2005 16:07

Montag, 14. November 2005

Mahmoud Abbas ein Holocaust-Leugner

Mahmoud Abbas - Holocaustleugner, Oslo-Architekt und Hoffnungsträger
von Dana Krauße

Mahmoud Abbas hat das neu geschaffene Amt des palästinensischen Premierministers angenommen. Damit ist er der erste, mit dem PLO-Chef Yasser Arafat seine bisher uneingeschränkte Macht teilen wird - wenn auch weniger, als sich so mancher erhofft hatte.

Israel, die USA und die Europäische Union (EU) begrüßten die Ernennung des bisher zweitwichtigsten Mannes der Autonomiebehörde zum ersten palästinensischen Premier. "Abu Mazen ist ein respektierter Anwalt des Friedens. Wir hoffen, daß er und die israelische Regierung bald Schritte gehen, um die Friedensverhandlungen aufzunehmen", sagte der britische Außenminister Jack Straw und nannte den Palästinenser bei seinem Kampfnamen. Nach alter arabischer Tradition trägt Abbas den Namen seines erstgeborenen Sohnes Mazen und ist daher als "Abu Mazen" (Vater des Mazen) bekannt.

Die "Schritte in Richtung Friedensverhandlungen" dürften allerdings nicht leicht werden. Über die Sicherheitspolitik wacht noch immer ausschließlich Friedensnobelpreisträger Arafat. Sehr zum Bedauern Israels und der USA war der Palästinenserführer in diesem Bereich nicht zum Teilen seiner Macht bereit. Die radikal-islamischen Gruppen wie Hamas und Jihad al-Islami haben zudem bereits angekündigt, nicht mit Abbas zusammenzuarbeiten, da er der Wunschkandidat von Israel und den USA sei.

Eine erste Herausforderung für Abbas wird die Ernennung der Kabinettsminister sein, hierfür hat er längstens fünf Wochen Zeit. Von ihm wird erwartet, daß er Reformen in der Autonomiebehörde vorantreibt sowie gegen Korruption und Terrorgruppen vorgeht. Dazu würde auch gehören, daß er einige Minister der "alteingesessenen Garde" entläßt und mit neuen, reform-orientierten, Mitgliedern "frischen Wind" ins Kabinett bringt.

Abbas hatte mehrmals in der Öffentlichkeit den bewaffneten Palästinenseraufstand - die sogenannte "Intifada" - als Fehler bezeichnet. Für die Israelis wäre er ein Verhandlungspartner - im Gegensatz zu Arafat. Unbestätigten Berichten zufolge habe es mehrmals geheime Treffen zwischen ihm und Israels Premierminister Ariel Sharon gegeben. Er war maßgeblich am Abschluß der Osloverträge beteiligt. Auch bei den Verhandlungen in Camp David im Juli 2000 war er dabei. Hier gehörte er allerdings zu denen, die Arafat damals einschränkten. Denn Abbas besteht auf ein Rückkehrrecht aller palästinensischen Flüchtlinge und beansprucht Ostjerusalem als Hauptstadt eines Palästinenserstaates. Dennoch gilt er in den Augen vieler als "gemäßigt".

Nach den Osloverträgen war der Palästinenser in die Schlagzeilen geraten: Es war bekannt geworden, daß er 1983 ein Buch mit dem Titel "Die geheimen Verbindungen der Nazis mit den Führern der zionistischen Bewegung" veröffentlicht hatte. Dort leugnet er die Ermordung von sechs Millionen Juden durch die Nazis und bezeichnet die Zahl als "übertrieben und erfunden". Er bestritt zudem die Existenz von Gaskammern in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten. Als er vom "Simon Wiesenthal Zentrum" aufgefordert wurde, eine klare Stellungnahme zum Holocaust abzugeben, machte er für seine Publikationen die damaligen Umstände verantwortlich: "Damals befanden wir uns im Krieg mit Israel. Heute würde ich so etwas nicht mehr sagen", so der 67jährige in einem Interview mit der israelischen Tageszeitung "Ma´ariv".

Mahmoud Abbas wurde 1935 in der nordisraelischen Stadt Safed geboren. Nach Ausbruch des Unabhängigkeitskrieges 1948 flüchtete er mit seiner Familie nach Syrien. Dort studierte er in der Hauptstadt Damaskus Rechtswissenschaften. Später promovierte er in Moskau zum Thema "Zionismus". 1959 gründete er zusammen mit Arafat und drei anderen Männern Al-Fatah, die heute größte Fraktion innerhalb der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO). Die Fatah verübte in den darauffolgenden Jahren zahlreiche Terroranschläge auf israelische Ziele unter der Führung Arafats, um die "Befreiung Palästinas" zu erreichen.

Arafat, der auch unter dem Kampfnamen "Abu Ammar" bekannt war, zählte damals zu den gefährlichsten Terroristen der Welt. Seit dieser Zeit gingen Abu Ammar und Abu Mazen gemeinsame Wege. Abbas begleitete Arafat selbst ins Exil nach Jordanien, in den Libanon und nach Tunesien. 1996 wurde er zum Generalsekretär der PLO gewählt und war damit offizieller Stellvertreter Arafats.

Mittwoch, 9. November 2005

Die Nazis und die Juden

Zum 9. November

Vor 65 Jahren brannten in Deutschland die Synagogen, jüdische Geschäfte wurden geplündert, Menschen verhaftet und über 90 Menschen ermordet.Vor 65 Jahren mussten Juden in Deutschland Angst haben.

Aber auch heute machen sich Juden in Deutschland mehr Gedanken über ihre Sicherheit als andere Menschen in Deutschland. Vor den Gemeinden steht die Polizei. Die Gebäude sind mit Kameras ausgerüstet und die Sicherheitskontrollen an den Türen sind massiv.

Wenn die Feiertage anstehen haben manche Angst, in die überfüllte Synagoge zu gehen, weil die Wahrscheinlichkeit eines Anschlags steigt. Vor dem Gebäude werden die Menschen gebeten nach dem Gottesdienst zügig nach Hause zu gehen und nicht noch für ein Schwätzchen stehen zu bleiben.

Eltern machen sich Sorgen, wenn sie ihre Kinder in den jüdischen Kindergarten schicken oder in die jüdische Schule. Man hält seine Kinder an, keine offensichtlich jüdischen Symbole auf der Strasse zu tragen, wie T-Shirts mit Emblem vom letzten Machane (Jugendfreizeit) oder Ketten mit Davidsternanhängern.

Ein koscheres Lebensmittelgeschäft musste in Berlin schließen, weil die Attacken gegen den Besitzer und seinen Laden zu stark waren. Friedhofsschändungen gehören zum Leben der jüdischen Gemeinden, wie Bombendrohungen und Drohbriefe. Judentum kann in Deutschland auch heute nur sicher zuhause gelebt werden.

Der 9. November sollte ein Tag in Deutschland sein, an dem die Bevölkerung nicht nur der ermordeten Juden und der zerstörten Gotteshäuser gedenkt, sondern er sollte ein Gedenktag sein, an dem sich die Bevölkerung auch an die Täter und an ihre Taten erinnert. Die Regierung, die Medien und die Schulen sollten die Taten der Täter an jedem 9. November zum Thema machen. Die Tatsache, dass am 9. November 1989 Deutschland wiedervereinigt wurde, sollte ein Grund mehr sein, dass Deutschland sich an seine Vergangenheit erinnert und versucht, aus ihr zu lernen. Die Geschehnisse vom 9. November 1938 und 1989 stehen insofern im Zusammenhang, weil auch die Teilung Deutschlands eine Folge des Nazi-Regimes war. Dies macht den 9. November mit dem Ereignis des Mauerfalls zu einem noch symbolträchtigeren Tag und sollte deshalb um so mehr als Gedenktag für die Gräueltaten der Nazis stehen.

Die Identifikation mit den Tätern ist für Jugendliche heute in Deutschland meist keine aktuelle Fragestellung mehr. Denn die jungen Menschen sind keine Täter und auch nicht all die eingewanderten Ausländer, die in Deutschland leben. Aber alle sollten über die Taten der damaligen Täter Bescheid wissen und Vorurteile gegen Juden sollten abgebaut werden. Vorurteile gegen Juden haben nicht nur Deutsche, sondern auch Türken, Japaner, Franzosen oder Polen. Dass alle Juden reich sind, oder dass einige Millionen Juden heute in Deutschland leben, glauben heute noch die meisten. Dass in ganz Deutschland so viele Juden leben wie ungefähr Türken allein in der Stadt Köln, können die meisten kaum glauben.

An die Gräueltaten der Nazis und dem Ausmaß der Schoa wird nicht nur in Deutschland oder Israel gedacht. Es existiert heute auch ein europäisches Gedächtnis, dass sich sogar zu einer globalen Erinnerung entwickelt hat. Die Massenvernichtung der europäischen Juden ist nicht nur zu einem universalen Orientierungspunkt für Menschheitsverbrechen geworden, sondern auch zum Gegenstand einer weltgesellschaftlichen Erinnerungskultur und zu einer moralischen Erinnerung.Wichtig ist: die Partizipation an einer moralischen Erinnerungsgemeinschaft setzt keine gemeinsamen ethnischen Wurzeln voraus! Somit darf der 9. November kein Gedenktag nur für Deutsche sein, sondern er soll ein Tag sein, an dem alle, die in Deutschland leben, an die Verbrechen der Vergangenheit erinnert werden. Es sollte daran gearbeitet werden, dass gegenwärtige Vorurteile abgebaut werden, — auch von muslimischen Jugendlichen.

Die Regierung und das Ministerium für Bildung, aber auch die Medien sollten diese Aufgabe nicht aus den Augen verlieren und auch weiterhin dafür sorgen, dass der 9. November in der Bevölkerung eine im zustehende Bedeutung behält.

Enkel des Holocaust

Die dritte Generation:


Von Cornelius Zimmermann

Ich kann nicht mit Sicherheit sagen, warum ich meine Gedanken zum Schicksal meiner Großmutter und zum Holocaust aufschreiben musste. Ich hatte wohl das Gefühl, einen persönlichen Abschluss mit dem Thema herbeiführen zu müssen, das mich schon so lange beschäftigt. Seit ich ein kleiner Junge war, habe ich mich mit Geschichte beschäftigt, und die meiste Zeit davon mit der Geschichte des Dritten Reiches und der Shoah.

Es hat seitdem keinen Tag gegeben, an dem meine Gedanken nicht wenigstens kurz bei dem Schicksal meiner Großmutter oder den damaligen Zeitumständen waren. Geradezu zwanghaft habe ich alles verschlungen, was ich dazu in die Finger bekommen konnte. Seltsamerweise hat das sehr abgenommen, seit ich den Mut vor mir selber und die Muße fand, die Gedanken, die ich dazu hatte und habe, niederzuschreiben. Warum das so ist, weiß ich (noch) nicht. Ein klein wenig spielt aber auch die Vorstellung mit hinein, ein indirekter Zeitzeuge zu sein, der Zeugnis ablegen sollte. Die Häftlinge von Sobibor oder Treblinka – so genau weiß ich das nicht mehr – schworen einen Eid, der Nachwelt gegenüber Zeugnis abzulegen über die Geschehnisse in den Todeslagern. Ein ganz klein wenig fühle ich mich als Enkel aber auch an diesen Schwur gebunden.

"Meine Großmutter hat Auschwitz überlebt".

Ich habe diesen Satz in meinem Leben schon sehr oft und zu allen möglichen Leuten gesagt: zu Mitschülern, Lehrern, Kommilitonen, Freunden, Bekannten, Fremden. Und ich habe ihn in den verschiedensten Situationen gesagt: in zwanglosen, förmlichen, intimen Situationen, wie auch an den verschiedensten Orten. Ich war nie dazu gezwungen; ich habe es immer freiwillig getan. Manchmal war es nötig, weil ich meine Beziehung zu Israel und zum Judentum erklären wollte, manchmal, weil es sich ergab, aber manchmal auch (besonders als Jugendlicher), um mich damit ein bisschen interessant zu machen. Für letzteres schäme ich mich nicht, ich glaube, das ist ein für Jugendliche typisches Verhalten, daher werde ich auch nicht zu langer Rechtfertigung anheben.

Dieser Satz – und was er bedeutet – hat mein Leben geprägt wie sonst kaum etwas anderes. Ich versteige mich zu der Behauptung, dass es für mich als Mensch etwas Prägenderes nicht gegeben hat. Eine Ausnahme davon bildet vielleicht nur die Musik, die mich ebenfalls mein ganzes Leben begleitet hat.

Ich werde wohl nicht darum herumkommen, zunächst das Leben meiner Großmutter "unter dem Hakenkreuz" – wie es so schön heißt – zu umreißen. Ich werde nur die wesentlichen Aspekte herausgreifen und dem Leser die vollständige Lebensgeschichte ersparen. Meine Großmutter väterlicherseits, geboren 1913 (auf den Tag genau 65 Jahre vor mir) im damaligen Westpreußen, war Jüdin. Ihr Vater war im Holzhandel tätig, die Mutter Hausfrau. Die Familie war, wenn überhaupt, nicht besonders religiös und in jeder Hinsicht deutsch. Mein Großvater, ein Protestant, war Jurist in der Justizverwaltung und bekleidete dort bis zu seiner Entlassung aufgrund der nationalsozialistischen Rassengesetze hohe Ämter. Nach der Verhaftung und Haft in einem Wiesbadener Gefängnis wurde meine Großmutter in das Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz verbracht, wo sie von Juli 1944 bis zur Befreiung durch die Rote Armee am 27. Januar 1945 interniert war.

Es liegt mir fern, das Leiden meiner Großmutter herunterzuspielen, das ohne Zweifel grenzenlos gewesen sein muss. Jedoch kann man wohl von ihr als von einem alles in allem durchschnittlichen Häftling sprechen, der zwar den alltäglichen Quälereien und Strapazen ausgesetzt war, jedoch keine unter diesen Umständen außergewöhnliche Geschichte zu erzählen hatte. Dies soll lediglich betonen, dass meine Großmutter also nicht das individualisierte, besondere Ziel von Grausamkeiten gewesen ist. In diesem Teil ihrer Geschichte kann daher auf die bekannten Informationen über den Lageralltag in Auschwitz verwiesen werden kann. Ich will keine Geschichte der Konzentrationslager schreiben und setze das Wissen über die Zustände in Auschwitz voraus.

Ihre eigenen Erfahrungen über das Leben in Auschwitz hat sie in einem vielleicht fünfseitigen, maschinegeschriebenen Bericht festgehalten, der ebenfalls völlig allgemein und unpersönlich den Tag eines Häftlings in Auschwitz schildert, jedoch in seiner Einfachheit und Klarheit ein beeindruckendes Zeugnis ablegt. Ich darf mir die Bemerkung erlauben, dass meine Großmutter kein großer Geist war, eine einfache Frau mit einem Sinn für das Praktische, der man nach ihrer kleinen Statur das erforderliche Maß an Zähigkeit, das zum Überleben erforderlich war, nicht zutrauen würde. Doch vielleicht gerade darum vermochte sie es, in schnörkelloser und zugleich plastischer Erzählweise das Leben der Häftlinge zu dokumentieren.

Meine eigenen Informationen über das Schicksal meiner Großmutter verdanke ich neben dem geschilderten Bericht hauptsächlich dritten Quellen: der Lektüre der einschlägigen Literatur über die Geschichte des Dritten Reiches und der Konzentrationslager, aber vor allem dem Interview, das im Auftrage von Stephen Spielbergs "Shoah Foundation" mit meiner Großmutter geführt und auf Videokassette aufgezeichnet worden ist. Mir gegenüber erzählte sie nie von ihrer Zeit in Auschwitz. Ich kann mich nur daran erinnern, dass sie mir einmal – ich war noch ein kleiner Junge – von ihrem Aufenthalt in dem Wiesbadener Gefängnis erzählte, wo sie eingesperrt war, bevor sie auf den Transport nach Auschwitz geschickt wurde. Sie musste dort eine kleine Zelle mit einer fremden Frau teilen, dazu gezwungen, den ganzen Tag auf der einzigen Pritsche oder auf der Kloschüssel sitzend zu verbringen. Das war ganz besonders quälend, weil es rein gar nichts zu tun gab und die zwei Frauen den quälenden Gedanken an ihre Familien ausgeliefert waren, von denen sie nur spärlich Nachricht erhielten. Dieses quälende Nichtstun, verbunden mit dem ununterbrochenen Grübeln über das eigene Schicksal, das der Familie und den Selbstzweifeln ("Hätte ich etwas tun können, um das alles abzuwenden?..."), trieb die Gefangenen an den Rande des Wahnsinns.

Ich weiß nicht, warum ich mit meiner Großmutter nie über ihre Erlebnisse gesprochen habe. Merkwürdig genug, aber Tatsache ist, dass ich nie das Bedürfnis danach hatte. Ich wusste stets, dass sie in Auschwitz war und las viel über Konzentrationslager und Judenvernichtung, aber ich hatte nie ein gesteigertes Verlangen, es aus ihrem eigenen Munde zu hören. Ich gehe noch weiter und muss bekennen, dass ich schließlich der Ansicht war, es brächte mir keine neuen Informationen. Man könnte einwenden, dass es für mich dennoch von Interesse hätte sein müssen, die Geschehnisse aus erster Hand, von einem Augenzeugen, geschildert zu bekommen. Aber auch dieses Verlangen hatte ich nie. Die einzige Erklärung, die ich dafür anbieten kann, ist Scheu. Dass ich Scheu davor hatte, ist sicher, aber ich bin mir nicht sicher, ob das der vorrangige Beweggrund war.

Das leitet über zu der Frage, was dieser familiengeschichtliche Hintergrund für mich bedeutete und noch heute bedeutet. Im Alltag nichts oder wenig, könnte manch einer vermuten. Ich war doch ein Kind der 90er Jahre, geboren 1978, ich erlebte den Fall der Mauer mit 11 Jahren, wuchs auf mit Techno und HipHop, mit Helmut Kohl, dem ICE und der Einführung der fünfstelligen Postleitzahlen. Deutschland ist wiedervereinigt, Franzosen und Polen der Deutschen beste Freunde. Warum hätte das Schicksal meiner Großmutter sich noch woanders bemerkbar machen sollen als in meinem Bücherschrank und den Erzählungen der Eltern? Die Antwort ist: Ich wuchs mit dem Holocaust auf. Es muss sehr früh gewesen sein, als mir klar wurde, dass meine Großmutter etwas besonderes und dies für meine ganze Familie immer noch irgendwie von großer Wichtigkeit war. Ich kann mich noch an die erste Begegnung mit dem Thema "Drittes Reich" erinnern. Es war der Jahrestag des Stauffenberg-Attentats. Ich saß bei meiner Mutter hinten im Auto und wir fuhren auf das Gebäude der Hauptpost meiner Heimatstadt zu. Ich fragte meine Mutter, warum denn am Postgebäude eine Flagge mit Trauerflor hinge. Meine Mutter antwortete sinngemäß: "Früher gab es in Deutschland einen bösen Menschen, der hieß Adolf Hitler. Einige Männer haben versucht, ihn umzubringen. Sie haben es leider nicht geschafft, aber man gedenkt ihrer heute noch."

Dieses Ereignis ist eher eine Anekdote und von geringer Wichtigkeit. Aber ich begann schon als kleiner Junge, mich für das Dritte Reich und den Holocaust zu interessieren. Mein erstes Buch über das Dritte Reich und die Shoah war ein Bildband mit dem Titel "Hitler", der Titel auf einem mauergrauen Einband in blutroter Pinselschrift geschrieben. Die Gesichter von Hitler, Goebbels und Göring, die Bilder von ausgemergelten KZ-Häftlingen, von Leichenbergen und dem sowjetischen Kriegsgefangenen im Kältebad gehören zu meinen ersten geschichtlichen Eindrücken. Ich kann mich nicht erinnern, dass ich je deswegen angefangen hätte zu weinen oder dass ich gesteigerte Furcht empfunden hätte. Wahrscheinlich war ich anfangs schockiert, aber offensichtlich hat dies keine bleibende Erinnerung hinterlassen. Ja vielmehr, seitdem sind all diese Bilder für mich Normalität und Teil meines inneren "Familien-Photoalbums". Ich sprach auch nicht ständig mit meinen Eltern darüber, aber das war auch gar nicht nötig. Ich nahm die Tatsache zur Kenntnis, dass unsere Bücherregale voll waren mit Büchern über das Dritte Reich, den Holocaust, Israel und das Judentum, nahm es als gegeben hin und beschäftigte mich damit.

Die Tragweite dieser zunächst hingenommenen Familiengeschichte wurde mir aber erst später richtig klar. Ich begriff, dass meine Großmutter etwas besonderes war, dass wir (meine zwei älteren Brüder und ich) etwas besonderes waren, weil sie unsere Großmutter war. Es mag seltsam klingen, aber wir waren Zeugen und wir wussten es. Am eindrücklichsten wird das am Beispiel des Schulunterrichts. In mindestens vier Fächern – Geschichte, Deutsch, Gemeinschaftskunde/Politik, Religion – ist in der Bundesrepublik Deutschland das Dritte Reich und der Holocaust ständiges Thema. Und immer, wenn dieses Thema zur Sprache kam, stellte sich für mich und meine zwei Brüder die quälende Frage: "Sollen wir es ihnen (dem Lehrer bzw. der Klasse) sagen; sollen wir ihnen sagen, dass unsere Großmutter in Auschwitz war?". Wahrscheinlich wird dem Leser jetzt nicht ganz klar, warum das ein Problem war. Es war deswegen ein Problem, weil hierbei für uns nicht nur über "den Holocaust" oder "die Judenvernichtung" gesprochen wurde. Es wurde über uns gesprochen. Über unsere Großmutter. Über unsere Familie. Wir wussten ja mehr darüber als jeder einzelne unserer Klassenkameraden. Wir wären dadurch sofort in das Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt. Wir hätten über uns berichtet. Möglicherweise ist das schwer nachvollziehbar, aber wir spürten dieses Band durch die Geschichte, das uns mit dem Schicksal unserer Großmutter verband. Wir waren Zeugen für etwas, das einem Familienmitglied passiert war.

Mag es auch pathetisch klingen, wir öffneten einen Zeittunnel zu längst vergangenen Ereignissen in einem fernen Land. Und wir meldeten uns auch. Nicht immer, aber immer dann, wenn wir es für richtig hielten. Mein Bruder erzählte gerne die Anekdote, wie unser Geschichtslehrer, ein strammer, grundanständiger Sozialdemokrat alter Schule, im Zusammenhang mit der Ausgrenzung der Juden und der Rassengesetzgebung im Dritten Reich auf ihn deutete und meinte, er mit seinen dunklen Haaren und braunen Augen sähe ja schließlich auch ein bisschen jüdisch aus. Mein Bruder erzählte ihm später, er habe tatsächlich jüdische Vorfahren. Dem Lehrer war es furchtbar peinlich, wollte er doch nur seinen Schülern zeigen, wie abstrus die Vorstellungen der Nazis von sichtbaren Rassenmerkmalen waren. Ich glaube, es war im Jahre 1996, als mein Gymnasium am 27. Januar zum ersten Mal eine Gedenkveranstaltung zum Jahrestag der Befreiung von Auschwitz durch die Rote Armee veranstaltete. Ich teilte zuerst meiner Deutschlehrerin und dann meinen Mitschülern mit, dass meine Großmutter einen Bericht verfasst habe und ich ihn in die Feier einbringen könne. Zusammen mit einer Mitschülerin verlas ich den Bericht auf dem Schulhof vor versammelter Schülerschaft. Wir sagten, es handele sich um den Bericht "der Großmutter eines Mitschülers"; alles andere wäre selbstredend einer Form von Exhibitionismus gleichgekommen.

Ich könnte jetzt noch viele warme Worte verlieren, warum diese Situation für uns spannungsgeladen war und manchmal noch ist. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass für Dritte die Zerrissenheit, die wir dabei spürten, oft nicht nachvollziehbar ist. Aber sie war da. Wir saßen zwischen allen Stühlen. Wir waren junge Menschen, aber doch Zeitzeugen. Es wurde zugleich mit uns als auch über uns gesprochen. Das für mich anschaulichste Beispiel für diese beklemmende Situation ist folgendes: Ich besuchte mit meinem besten Freund im badischen Emmendingen eine kleine Gedenkveranstaltung der dortigen alten und traditionsreichen jüdischen Gemeinde für einen bedeutenden jüdischen Sohn der Stadt. Im Anschluss an den Teil der Veranstaltung im Freien fand man sich in einem Saal zusammen und irgendjemand hielt einen Vortrag, der irgendetwas mit Elie Wiesel zu tun hatte. Es waren einige junge Menschen in unserem Alter (wir waren zu diesem Zeitpunkt bereits Studenten in den ersten Semestern) anwesend. Im Anschluss an den Vortrag wollte der Vortragende in eine Diskussion über Holocaust und Antisemitismus mit dem Publikum eintreten und wandte sich besonders an die jungen Zuhörer, um ihre Beziehung und Meinung zum Thema zu erfahren. Es entspann sich die übliche, zähe Diskussion über ein Thema, über das wie stets unter den demokratisch und republikanisch gesinnten Zuhörern (die ja sowieso immer die einzigen sind, die solche Veranstaltungen besuchen...) völlige Einigkeit herrschte. Aber da war es wieder: Ich hätte mich jetzt melden und sagen können "Hallo, ich bin 20, was meine Beziehung zu dem Thema angeht, meine Großmutter war in Auschwitz." Ich hätte die Diskussion gesprengt. Ich wäre ein Zeitzeuge gewesen. Ich hätte erzählen müssen, über meine Großmutter, meine Familie und mich. Ich tat es nicht, aber ich wurde unglaublich nervös und begann so heftig zu zittern, dass ich Mühe hatte, mich ruhig auf den breiten Gemeindestühlen zu halten und nicht aufzufallen. Ich krallte mich also am Stuhl fest und war froh, als die Veranstaltung mit der fruchtlosen Diskussion über den unsinnigen Beitrag eines sozialistisch angehauchten Teilnehmers zu Ende ging.

Kurz: Wir waren nicht nur Enkel. Wir waren in gewisser Weise mit verstrickt. Die Geschichte unserer Großmutter war unsere Familiengeschichte, die Geschichte des Holocaust damit unsere eigene. Ich möchte mir erlauben, ein weiteres Beispiel anzuführen, das klarmachen soll, wie nahe wir letztlich doch der Thematik stehen: Wir sind Deutsche, natürlich, und fühlen uns auch so, weil wir gar nichts anderes sein könnten. Ich für meinen Teil wagte es im Schulunterricht sogar, für einen entspannteren Umgang mit dem Bekenntnis zur Nation zu werben. Ich bin kein Rechter, oh nein, aber ich bin Deutscher und fühle mich ausgesprochen wohl dabei. Mitnichten erfüllt mich meine Familiengeschichte mit Unbehagen gegenüber dem eigenen Volk. Eines Tages, ich war Jurastudent an der Universität Freiburg, surfte ich im Internet auf der Seite der Jewish Agency for Israel, die auf staatlicher israelischer Seite die Einwanderung nach Israel organisiert. Ich blätterte in den vorhandenen Gesetzestexten und stieß auf das "Rückkehrgesetz", das eines der "Grundgesetze"/"Basic Laws" darstellt, die zusammen die "Verfassung" des Staates Israel bilden (Eine Verfassung im europäischen Sinne, die in einem einzigen Dokument niedergelegt ist, besitzt Israel nicht). Ich las es zum ersten Male genauer und stellte verblüfft fest: Einwanderungsberechtigt sind nicht nur "Juden", sondern auch alle Personen bis hin zu den Enkeln eines Juden oder einer Jüdin. Ich habe also die Möglichkeit, israelischer Staatsbürger zu werden. Ich war lange Zeit verwirrt und erstaunt. Ich habe die Auswanderung nie ernsthaft erwogen, aber die Vorstellung, Anrecht auf die Staatsangehörigkeit eines fremden Staates zu haben, ist eigenartig und zeigt mir aufs Neue, dass meine Verbindung zum Holocaust nicht nur aus Büchern besteht.

Was die Berührung durch den Holocaust im Alltagsleben angeht, kann ich nur für mich sprechen, weil meine zwei Brüder deutlich älter sind als ich. Wie gesagt, ich wuchs mit Büchern über den Holocaust auf. Allgegenwärtig war auch das Interesse am Schicksal Israels. Auch hier wurde nicht ständig darüber gesprochen, aber es war immer spürbar, dass Israel irgendwie sehr wichtig war. Man horchte bei Nachrichten über Israel auf, es war Literatur vorhanden, es tauchte im Gespräch mit meiner Großmutter auf, es gab Bekannte im Heiligen Land. Als Junge und Jugendlicher faszinierte mich dieses Thema natürlich. Natürlich waren auch meine Vorbilder die Helden der Western-Romane, die ich so gerne las, oder die cleveren Jungs aus Hitchcocks "???". Aber später wurden es auch die Kämpfer der Haganah, die für die Unabhängigkeit Israels gegen die Briten kämpften oder die jüdischen Pioniere, die die Wüste Palästinas in einen blühenden Garten verwandelten. Und es wurde irgendwie auch Theodor Herzl, der Journalist der Wiener "Neuen Freien Presse", der die zionistische Weltbewegung gründete und der geistige Vater des Judenstaates wurde, obwohl er doch eigentlich lieber mit seinen drittklassigen Theaterstücken erfolgreich gewesen wäre...

Wenn ich meine emotionale Beziehung zum Thema Holocaust/Judenvernichtung beschreiben wollte, käme ich in Schwierigkeiten. Im Grunde kann ich es nicht. Ich kann nicht sagen, was ich angesichts der Vorstellung empfinde, dass 6 Millionen Menschen, nämlich Juden, auf industrielle Weise in den Tod getrieben worden sind. Meistens habe ich zu diesem Thema überhaupt keine emotionale Beziehung. Die altbekannten Bilder von Gaskammern, Schuh- und Brillenhaufen, pöbelnden SA-Mobs und verängstigten Kindern an der Rampe können meistens bei mir nichts mehr auslösen. Es ist für mich so alltäglich, so normal. Es sind Photos aus meinem Familien-Photoalbum, ich sehe sie mir an, wie andere Menschen sich Bilder vom letzten Familientreffen ansehen.

Doch es gibt die Momente, bei denen es auch mich überkommt, wenn auch selten. Einer dieser Momente war in der Gedenkstätte Yad Va'Shem in Jerusalem. Aber nicht die "Yad Va'Shem-Highlights" waren es, die mich berührten. Offen gesagt, Yad Va'Shem ist in meinen Augen ein seltsamer Ort. Man steht in der glühenden israelischen Mittagshitze, die Turnschuhe sind staubig und voller Sand, man hat eine Sonnenbrille im Haar stecken und der beste Freund ist in diesem Moment die Wasserflasche. Die Luft flirrt. Der Blick schweift über ein Tal, bewachsen mit allerlei mediterranem Grünzeug, dessen Namen ich nicht kenne, das sich aber jeder vorstellen kann, der einmal Urlaub in Italien gemacht hat. Und jetzt beginnt der Gang durch einen Ort, der erinnern soll an Todesmärsche, Krematorien und furchtbare Verbrechen unter einem kalten, abweisenden polnischen Herbsthimmel. Vieles wirkt idyllisch und so gar nicht abweisend, wie das Tal der Gemeinden, aus dem lebenden, schimmernden, weißen Stein der judäischen Berge geschnitten. Es ist ein schöner Ort. Die zentrale Gedenkhalle mit der ewigen Flamme, vor der sie alle schon standen, Helmut Kohl, Jimmy Carter, Richard von Weizsäcker, Horst Köhler, wirkt mit ihrem düsteren Gusseisen und grauen Beton irgendwie gammelig und in den 50er Jahren stecken geblieben.

Was ich damit sagen will ist: Yad Va'Shem ist nur bedingt geeignet, um – Neudeutsch gesagt – den "Holocaust-Flash" zu kriegen. Ich ging also hindurch und stieß dann auf das "Memorial for the Deportees", einen alten Reichsbahn-Viehwaggon, der auf Schienen buchstäblich ins Tal fährt und mitsamt den Schienen frei in der Luft hängt. Davor am Abhang steht eine brusthohe Mauer, auf der auf Englisch und Hebräisch eine Inschrift wiedergegeben ist, die man im Inneren dieses Wagens geschrieben fand: "Here in this carload, I'm Eve, together with Abel, son of man. When you see my elder son Cain, tell him...". Ich stand in der heißen Sonne, in der Hand meinen Photoapparat, und begann bitterlich zu weinen. Ich kann nicht genau sagen, warum gerade hier es mich überkommen hat. Aber niemals habe ich etwas gelesen, das die Bedeutung des Holocaust als Verbrechen von Menschen an Menschen auch nur annähernd so getroffen hätte. Eigentlich ist es unnötig, aber ich erlaube mir trotzdem, meine Gedanken oder besser, meine Übersetzung dieser Worte wiederzugeben: Im Hebräischen heißt "son of man" "ben adam" und trifft es damit eigentlich besser. "Adam" heißt nicht nur "Mensch", sondern meint natürlich auch Adam, den ersten Menschen. Denn Abel ist nicht nur Sohn eines Menschen, sondern der Sohn des, des ersten, Menschen, Adam. Eva, Adam, Abel und Cain sind also die Keimzelle des Menschengeschlechtes, die erste Familie. Eva sitzt da nun, sie ist auf sich allein gestellt, eingesperrt, und weiß, dass sie sterben wird. Sie versteht nicht warum, sie begreift es einfach nicht, denn sie hat ja gar nichts getan. Bei ihr ist ihr jüngerer Sohn Abel, schutzlos und unschuldig wie ein Kind eben ist. In ihrer Verzweiflung tut sie das, was nur natürlich ist: Sie versucht, eine Nachricht an ihren älteren Sohn Cain zu hinterlassen. Wenn Ihr das hier findet, schreibt sie, sagt ihm doch Bescheid. Er ist doch mein Sohn, er wird kommen und uns hier rausholen. Aber Cain wird nicht kommen. Denn er ist draußen vor dem Waggon und er wird sie beide töten, seine Mutter und seinen kleinen Bruder. Und selbst wenn Eva ihren Sohn Cain vor ihrem Tod sehen könnte und begriffe, dass er der Mörder sein wird, sie würde sich bis zum Schluss, wenn das Gas ihre Lungen füllt, fragen: Warum? Er ist doch mein Sohn. Er ist doch der Sohn eines Menschen. Er ist doch Abels Bruder. Und Abel hat ihm doch gar nichts getan.

Es erscheint wie ein Gedankensprung, aber ich will noch eine kleine Begebenheit anfügen, die mich auch sehr beschäftigt hat, mich aber in Ratlosigkeit zurücklässt. Vielleicht kann es mir jemand erklären und mir Antwort geben. Ich glaube, im Verlaufe des Eichmann-Prozesses (aber so genau weiß ich das nicht mehr) hat man einen Überlebenden befragt. Wahrscheinlich als Zeugen, aber das ist auch unwichtig. Dieser Mann gab bereitwillig Auskunft über die Verbrechen, die er gesehen hatte. Aber eine Frage stellte er seinem Gesprächspartner immer und immer wieder: "Was ist", fragte er, "was ist eigentlich ein Mensch?". Mir ist bis heute nicht ganz klar, was der Mann mit dieser Frage sagen wollte. Fragte er sich, was mit einem Menschen passiert, der sich an Verbrechen von ungeheurem Ausmaß wie dem Holocaust beteiligte, nämlich dass er sich dadurch außerhalb alles Menschlichen stellt? Oder dachte er daran, was mit Menschen passiert, die unter menschenunwürdigen Bedingungen zu hausen gezwungen sind, so dass sie möglicherweise dadurch zwangsläufig irgendwann alles Menschliche verlieren müssen und zu dem werden, was die Täter Ihnen vorher vorwarfen zu sein, nämlich zu Tieren oder zu noch weniger? Oder stellte er nach seinen Erfahrungen überhaupt in Frage, dass dem Begriff des Menschen noch eine andere als eine biologische Bedeutung, nämlich eine sittliche oder moralische zukommen soll? Ich weiß es nicht, aber diese Frage, die der mir unbekannte Mann stellte, scheint mir zentral zu sein für das Verständnis des Holocaust, seiner Schrecken und seiner Bedeutung.

JUDENTUM. Eigenartigerweise ist meine Verbindung zur jüdischen Religion die schwächste innerhalb der Themenbereiche, die mit dem Holocaust verbunden sind. Zwar ist das Judentum die Religion, die meinen eigenen religiösen Überzeugen am nächsten kommt. Daher kann ich das jüdische Glaubensbekenntnis zu meinem eigenen machen: Schma jisrael, Adonai eloheinu, Adonai echad. Höre Israel, der Herr ist unser Gott, der Herr ist EINER. Aber obwohl mir das Judentum inhaltlich so nahe ist, habe ich doch keine wirklich enge Beziehung zu ihm. Ich war lediglich zweimal in meinem Leben in einer Synagoge, ich kenne nur wenige Juden und will – entgegen den Mutmaßungen meiner Freunde – auch nicht konvertieren. Die Traditionen des Judentums empfinde ich als ausgesprochen schön, sie sind aber nicht meine und ich betrachte sie in religiöser Hinsicht sogar als überflüssig oder verfehlt. Ich vermag nicht zu akzeptieren, dass Gott von mir verlangt, an einem bestimmten Tag der Woche bittere Kräuter zu essen, und ich würde auch notfalls reinen Gewissens zu einem Schweineschnitzel ein großes Glas Milch trinken. Dennoch fühle ich mich dem Judentum verbunden, und zwar wieder im Rahmen einer Art Schicksalsgemeinschaft.

Wenn "die Juden" etwas betrifft, betrifft es – obschon fern – auch mich. Meine Eltern beziehen die "Jüdische Allgemeine", die ich bei Gelegenheit mit großem Interesse lese, es ist mir wichtig, jüdische Meinungen zu einem Thema zu erfahren, auch wenn ich sie oft genug nicht teile. Oft genug reduziere ich diese Verbundenheit auf das Flachsen mit Freunden, etwa wenn ich mich selber als "Judenbengel" bezeichne oder Ausdrücke im Munde führe wie "Blut ist dicker als Wasser". Aber obwohl das natürlich immer mit dem schmunzelnden Hintergedanken "Ich darf das." geschieht, ist es doch stets zumindest halbernst gemeint.

ISRAEL. Ich möchte auch etwas über meine Beziehung zu Israel sagen. Penibel wie ich bin, müsste ich eigentlich sagen, zum Staat Israel, Medinat Jisrael. Denn mit dem Begriff des Heiligen Landes oder dem Land selbst, diesem – Entschuldigung – beschissenen kleinen Fetzen Sand und Felsen an der Ostküste des Mittelmeeres verbinde ich zunächst nichts. Nein nein, dieses Land ist wunderschön und ich habe mich regelrecht darin verliebt. Aber ohne den Staat Israel darauf würde es genauso viel für mich bedeuten wie jeder andere Streifen Erde.

Aber Israel, der Staat Israel, der Judenstaat, das hat für mich seit je her eine fast magische Bedeutung gehabt und zwar in vielerlei Hinsicht. Zugegeben, manches mag noch aus einer jungenhaften Bewunderung für das Abenteuerliche und einem mir eigenen Sinn für das Pathetische herrühren. Aber ich habe diese Menschen immer bewundert, die in ihrer gestreiften Häftlingskleidung von den Schiffen stiegen und sich aufmachten, eine Nation aufzubauen. Sie errichteten Städte, machten das Land urbar, pflügten, pflanzten und mauerten. Sie gaben sich Gesetze, lernten alle dieselbe neue, fremde Sprache und verteidigten ihre neue Heimat mit der Waffe in der Hand gegen übermächtige Feinde. Innerhalb von 50 Jahren machten sie aus einem kargen Fleckchen Erde am Rande aller großen Zivilisationen einen modernen High-Tech-Staat. Ja, noch heute bewundere ich diese Nation genauso wie als Junge. Ich kann nicht anders, obwohl man mich dafür einen Kindskopf schimpfen könnte, und zu Recht.

Ich bin kein zionistischer Extremist mit einem deutschen Pass, ich glaube, ich habe zum Nahost-Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern die liberalste nur denkbare Haltung. Ich weiß genau, dass jede Seite Fehler gemacht hat und kann sie benennen. Wenn ich etwas zu sagen hätte, hätten die Palästinenser schon morgen einen Staat auf eigenem Land in den Grenzen von 1967 mit freiem Transit zwischen Gaza und dem Westjordanland. Aber ich glaube an Israel und ich bin der Überzeugung, dass es diesen Staat geben muss, solange es Juden gibt. Israel ist für die Juden die einzige Sicherheit auf Erden, und sie brauchen Waffen, um sich verteidigen zu können.

Aber warum geht mein Interesse an Israel über reinen Wissensdurst hinaus? Ich bin ja kein Jude, werde nicht verfolgt und sehe deutscher aus als manch einer meiner Landsleute. In unserer Familie ist aber Israel eben doch immer ein wenig im Hintergrund gewesen. Wie für jeden Juden war Israel für meine Großmutter nicht nur ein Land, sondern ein möglicher Zufluchtsort. Und auch für meinen Vater ist es mehr als ein Land. Wer in irgendeiner Weise Berührung mit Holocaust und Judentum hat, kann verstehen, dass für Juden Israel eine Art Lebensversicherung darstellt. Gleichgültig in welch sicheren Umständen man lebt, Israel bedeutet die Möglichkeit, an einen Ort zu gehen, wo man unter seinesgleichen ist, der Unterdrückung entgehen und Herr im eigenen Lande sein kann. Und daher ist Israel nicht nur ein Land, sondern ein Prinzip, das unter keinen Umständen aufgegeben werden darf. Natürlich ist Israel für mich kein möglicher Zufluchtsort, schlicht und ergreifend weil ich von niemandem etwas zu befürchten habe. Aber zu erleben, mit welch stiller und auch unnachgiebiger, ja sturer Selbstverständlichkeit Menschen, denen man nahe steht – konkret: meine Großmutter und mein Vater – an dieses Prinzip glauben, prägt einen sehr. Ich glaube, das ist wieder einmal schwer nachzuvollziehen, aber vielleicht illustriert folgende Begebenheit, was ich meine: Eines Tages sprach meine Großmutter mit meinem ältesten Bruder über meinen Entschluss, Jura zu studieren. Im Verlaufe des Gesprächs fragte meine Großmutter: "Kann man damit auch ins Ausland gehen?" Was sie damit meinte, war: Sollte es jemals wieder zum Äußersten kommen, kann er seinen Beruf auch im Ausland ausüben? Könnte er notfalls auch, ohne mittellos zu werden, seinem Beruf auch als Auswanderer nachgehen?

Ich bin ein einziges Mal dort gewesen, für 10 Tage im Juli/August 2004. Ich sagte meinen ewig besorgten Eltern, ich würde nach Kroatien fliegen und bestieg die Maschine der El Al nach Tel Aviv. Es war ein unglaubliches Gefühl, als die Maschine in den Abendstunden aufsetzte und der Kapitän diese Worte sagte: "Ladies and gentlemen, bruchim habaim le'jisrael, welcome to Israel." Benommen stieg ich aus, sog die schwüle, stickige Luft ein, die mir wie eine dicke Wand entgegenkam. Ich konnte es den ganzen Abend und noch tagelang nicht fassen, endlich da zu sein.

Nach Israel zu fahren, war einer meiner Lebensträume gewesen. Ich genoss das Land, die Bilder, die Menschen, die Gastfreundschaft der arabischen Familien, bei denen ich über meinen arabisch-israelischen Tandempartner zu Gast war. Ich muss jetzt nicht in Einzelheiten gehen, meine Erlebnisse dort kann man zum größten Teil im "Lonely Planet – Israel and the Palestinian Territories" nachlesen. Aber für mich war es eine Reise an einen vertrauten Ort. Kaum etwas war mir dort wirklich fremd. Ich hatte ja mein ganzes Leben lang alles über dieses Land aufgesogen, was nur in meine Nähe gelangte. Viele werden mich jetzt auslachen, möglicherweise sogar meine eigene Familie, aber ich hatte ein wenig das Gefühl, heimzukommen. Es war mein Land. Ich kannte mich dort aus, ohne jemals vorher dort gewesen zu sein. Ich wusste, irgendwie gehörte ich dazu. Und wenn ich gewollt hätte, hätte ich ja sogar bleiben können.

Es gab einen Moment unter vielen, der mir meine Verbindung mit Israel vor Augen führte: Ich saß im Dizengoff-Park in Tel Aviv auf einer Parkbank unter hohen Palmen und frühstückte meinen Bagel. Unweit von mir auf einer anderen Parkbank saßen zwei alte Frauen, die sich auf Deutsch unterhielten. Irgendwann stand die eine auf und verabschiedete sich, sie sagte dabei irgendetwas wie: "Also dann, Schalom, Schalom, auf Wiedersehen, und kol tuv (Alles Gute)." Dabei dachte ich bei mir, das hätte meine Großmutter sein können, wäre sie damals ausgewandert, anstatt in Deutschland zu bleiben. Dasselbe geblümte Kleid im Stil der 50er Jahre, dazu eine dicke Halskette, so schritt sie vorsichtig davon. Ich bin mir sicher, sie spricht Hebräisch noch immer mit einem deutschen Akzent, in ihrem Wohnzimmer steht noch der alte deutsche Nippes und die hippen israelischen Jugendlichen mit ihren modischen Sonnenbrillen, knallengen T-Shirts und trendigen Mobiltelefonen sind ihr fremd. Sie weiß, sie gehört nach Israel, es ist ihr Land, ihre Zuflucht und ihr sicherer Hafen, aber tief drinnen lebt sie noch in Deutschland und ignoriert das orientalische Treiben, so gut es eben geht. Und immer, wenn ich daran zurückdenke, ist es nicht die fremde Frau, die dort mit vorsichtigen Schritten den schattigen Weg entlanggeht, sondern meine Großmutter.

Meine Großmutter starb im Jahre 1999 an den Folgen eines Selbstmordversuches. Nach allem was ich weiß, konnte sie die Einsamkeit nicht mehr ertragen und auch nicht die Gedanken an Auschwitz, die sie in dieser Einsamkeit wieder stärker überkamen.

hagalil.com 30-10-2005

Allesia Olivone

SchwarzwiedieNacht

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